Die Tradition leidet

27.11.2018 10:44
Quelle: Stadionwelt
Die neuen Anwurfzeiten in der DKB Handball-Bundesliga haben nicht, wie von Kritikern befürchtet, für einen dramatischen Zuschauerrückgang gesorgt.Insbesondere Traditionsclubs haben jedoch damit zu kämpfen. Eine Analyse.

Das Treffen erfolgte abseits allen Trubels. Als die Europameisterschaft in Kroatien ihrem Höhepunkt zusteuerte, kamen in Hamburg in aller Stille die Verantwortlichen von ARD, ZDF und Sky mit dem Präsidium und der Geschäftsführung der DKB Handball-Bundesliga (HBL) zusammen, um über Gegenwart und Zukunft des Fernsehens in der Bundesliga zu diskutieren. Im Hotel Gastwerk, verkehrsgünstig in Hamburg- Bahrenfeld gelegen, stand der seit Sommer 2017 gelebte TV-Vertrag im Fokus. „Review-Workshop“ hieß der offizielle Titel des Meetings. „Es ging einfach darum, die Zusammenarbeit der neuen Partnerschaft gemeinsam zu reflektieren und zu bewerten“, erklärt HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann.

Auf der Agenda: eine ganze Palette von Themen, die irgendwie mit dem TV-Deal zusammenhängen. Es ging um neue Marktforschungsdaten, um Reichweiten, um Produktionsdetails, auch um die Vorbereitung von Live-Spielen der 2. Bundesliga bei Sky. Ein großer Block behandelte den Konflikt um die Gestaltung der Termine, die zuletzt das Klima zwischen HBL und Europäischer Handball-Föderation (EHF) auf arktische Kälte sinken ließ. Und es ging auch um Fragen des Marketings und der Kommunikation für das gemeinsame TV-Produkt.

Interessanterweise fehlte auf der Tagesordnung ein Punkt, der vor dem Bundesligaauftakt viele Fans und auch viele der Bundesligamanager seit Monaten intensiv beschäftigt und zu zahlreichen Spekulationen provoziert hatte: die Frage, inwiefern sich die frühe Anwurfzeit am Sonntag (12.30 Uhr) auf die Besucherzahlen in den Hallen und die Businesspartner der Clubs auswirken würde. Nicht wenige prognostizierten einen dramatischen Zuschauerrückgang. Insbesondere Gerd Hofele, der Geschäftsführer des Traditionsvereins FRISCH AUF! Göppingen, warnte schon im November 2016, als die Details bekannt wurden, vor den Folgen: „Wir sind der Meinung, dass der Spieltermin‚ Sonntag 12:30 Uhr, für unsere Zuschauer vor Ort eine mehr als große Umstellung bedeutet. Wir können den Unmut unserer Fans sehr gut verstehen. Deshalb habe ich mich als Mitglied des Präsidiums der DKB Handball-Bundesliga entschieden gegen diesen Spieltermin ausgesprochen und stark dafür gekämpft, den Samstagabend als Regelspieltag zwingend zu erhalten.

“Inzwischen ist mehr als eine Halbserie vergangen. Insofern liegt hinreichend statistisches Material vor, um eine erste seriöse Bewertung dieser Fragen vorzunehmen. Sorgt die frühe Sonntagszeit tatsächlich für einen Zuschauerrückgang? Hat sich der neue Termin am Donnerstagabend bewährt? Wandern die Firmen, die in Handballhallen Geschäfte gern anbahnen, tatsächlich ab? HANDBALL inside analysiert die Zahlen, die Sven Webers von www.bundesligainfo.de zur Verfügung gestellt hat. Und wir haben uns vor dem Start ins Frühjahr auch in der Bundesliga umgehört, um zu erfahren, wie die Manager die Zuschauerzahlen bewerten.

Der Vergleich der Zuschauerzahlen bezieht sich jeweils auf die Besucher, die bis zum Ende des Kalenderjahres in die Hallen kamen – auch wenn in der Vorsaison erst 18 Spieltage absolviert waren (in dieser Serie bereits 19), ist damit eine seriöse Bewertung möglich. Demnach sank der Zuschauerschnitt von 4.786 Fans in dieser Serie um 203 auf 4.583 Besucher (macht ein Minus von 4,25 Prozent). Zu einem großen Teil wurde dieser Rückgang allerdings dadurch verursacht, dass die drei Aufsteiger deutlich weniger Zuschauer anlocken als die drei Vorjahres-Absteiger. Der Zuschauerschnitt der drei Aufsteiger Hüttenberg, Lübbecke und Friesenheim lag bei nur 1.901 gegenüber den 2.773 Fans, die im Herbst 2016 zu den Spielen der Absteiger Coburg, Balingen und Bergischer HC gekommen waren.

Vergleicht man den Zuschauerschnitt der verbleibenden 15 Clubs, fällt das Minus daher deutlich geringer aus: Hier fällt der Schnitt von 5.163 Fans pro Partie auf 5.086, also um 77 Besucher pro Spiel (-1,5 Prozent). Lagen die Apokalyptiker unter den Propheten also völlig falsch? Ja und nein. Denn der Vergleich der Zuschauerzahlen bei den verschiedenen Anwurfzeiten zeigt enorme Unterschiede. Während sich der Schnitt am Donnerstagabend im zu erwartenden Rahmen bewegt (4.712 pro Partie), liegt der Gap zwischen Sonntagmittag (3.726) und Sonntagnachmittag (5.436) bei mehr als 1.700 Tickets pro Spiel. Dabei hat der THW Kiel als größter Kassenmagnet nur einmal sonntags gespielt, und das um 12.30 Uhr. Das ist eine klare Abstimmung mit den Füßen, die folgende These nahelegt: Ohne die frühen Anwurfzeiten am Sonntag wäre der Zuschauerschnitt in der DKB Handball-Bundesliga vermutlich sogar gestiegen.

SONNTAGMITTAG BREMST

Der Blick auf die einzelnen Clubs belegt, dass die Abweichungen im Einzelfall erheblich sind. „Es gibt für den Zuschauerdurchschnitt kaum messbare Effekte, aber hinsichtlich einzelner Standorte schon“, ist sich auch HBL-Boss Bohmann angesichts der Zahlen bewusst. Auffallend ist, dass von den Verlusten vorwiegend Traditionsclubs betroffen sind. So verlor der TBV Lemgo, obwohl die Ostwestfalen unter Trainer Florian Kehrmann eine sportlich erfreuliche Entwicklung nahmen, knapp 350 Gäste pro Spiel (ein Minus von 8,87 Prozent).Der VfL Gummersbach empfing 330 Fans weniger (-9,13 Prozent). GWD Minden und der SC Magdeburg verloren ebenfalls rund fünf Prozent der Fans, während FA Göppingen auf den ersten Blick die neuen Anwurfzeiten gut verkraftet hat und nur rund 1,1 Prozent seiner Fans fern blieben. Aber wie immer steckt der Teufel im Detail, wie das Feedback aus den betroffenen Clubs zeigt.

So macht Ulrich Kaltenborn, Geschäftsführer des TBV Lemgo, die frühen Anwurfzeiten für den signifikanten Zuschauerrückgang verantwortlich. „Wir haben rund 300 Dauerkarten weniger verkauft“, berichtet er. „Die Leute haben gesagt: ‚Wir kaufen diese Dauerkarten nicht mehr, weil wir nicht immer kommen können.‘“ Der TBV habe ein relativ altes und auch konservatives Publikum. „Da gibt es viele, die am Sonntagmittag mit der Familie gemeinsam essen, seit Jahrzehnten, und das wird nicht durch eine neue Anwurfzeit im Handball geändert. “Als „äußerst problematisch“ empfand Kaltenborn zudem, dass der TBV nur ein Heimspiel an einem Donnerstagabend ausgetragen habe – dies ist für viele Clubs in den unteren Regionen ein strukturelles Problem, weil die Teilnehmer der VELUX EHF Champions League in den meisten Fällen am Sonntag antreten müssen.

„Wir brauchen zwingend die Abendtermine für die Logenbesitzer, die Geschäfte anbahnen wollen“, sagt Kaltenborn. „Wenn wir diese Logenverlieren, dann werden wir in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.“ Die HBL habe in dieser Hinsicht Besserung gelobt, man sei in Gesprächen. Auch suche der TBV nach Wegen, neue Fans zu gewinnen, etwa durch eine Imagekampagne an der nahe gelegenen Fachhochschule. „Und wir bieten neuerdings einen für alle Fans offenen Brunch vor den Spielen am Sonntagmittag an, der wird sehr gut angenommen.“

Peter Schönberger, Geschäftsführer beim VfL Gummersbach, will nicht allein die neuen Anwurfzeiten für die Verluste anführen. „Aus meiner Sicht gibt es einen Strauß von Gründen“, sagt er. „Ja, die Donnerstagsspiele verkaufen sich besser als die Sonntagmittagsspiele, das ist signifikant. Auch dürfte die Tatsache, dass jedes Spiel bei Sky übertragen wird, ein paar Tickets kosten. Aber die größte Komponente bei uns ist, glaube ich, der Sport.“ Ein Zuschauermagnet wie Julius Kühn hat das Team bekanntlich verlassen, die Resultate waren nicht so, wie sich das der Gummersbacher vorstellt. „Ich denke, dass dies 50 Prozent des Rückgangs ausmacht. Aber das ist ein bisschen Kaffeesatzleserei. “Wirtschaftlich betrachtet, sei der neue TV-Vertrag extrem wichtig für die mittelfristige Zukunft des HBL-Handballs. „Es gibt wohl keinen Manager in der Liga, der das nicht so sieht. Jeder weiß, dass wir dem Fußball in den Zeiten ausweichen müssen, das versteht jeder. Insofern schlucken wir diese kleine Kröte der Anwurfzeiten gern.“ Negatives Feedback im Business-Club gebe es nicht, berichtet Schönberger.

Beim SC Magdeburg sieht man die Statistik gelassen. „Wir können bisher keine signifikanten Rückgänge sehen“, sagt Marc-Henrik Schmedt, der SCM-Geschäftsführer. Zwar verzeichne der Club derzeit 300 Tickets weniger als im Vorjahreszeitraum. „Aber wir hatten fünf Heimspiele zu einem sehr frühen Zeitpunkt, darunter waren Gegner wie Hüttenberg und Minden. Und wir hatten kein Dezemberspiel, die traditionell gut besucht sind.“ Auch sei die Halle neuerdings schon bei 6.800 und nicht mehr bei 7.100 Zuschauern ausverkauft, da man für die Medien und auch auf den Stehplatztribünen mehr Platz geschaffen habe. Wenn im Frühjahr die großen Gegner nach Magdeburg kommen, werde das die Verluste kompensieren, glaubt Schmedt. „Außerdem braucht jede Veränderung etwas Zeit für Akzeptanz.“ Im VIP-Bereich gebe es keine Veränderungen, so Schmedt. Er betont ebenfalls die positiven Seiten, etwa die neuen Möglichkeiten beider Auslandsvermarktung.

GÖPPINGER SONDEREFFEKTE

Recht düster betrachtet Gerd Hofele die Entwicklung. Der Geschäftsführer von FRISCH AUF! Göppingen sagt, man dürfe sich durch die Zahlen nicht täuschen lassen. Zwar fehlten FAG auf dem Papier nur gut ein Prozent der Fans. „Aber wir hatten einige Sondereffekte“, erklärt er. Die Heimspiele gegen Kassenschlagerwie Flensburg, Kiel, Berlin, Magdeburg und Stuttgart seien alle schongelaufen. „Und dann war das Weihnachtsspiel, das wir lange nichthatten, gegen Hüttenberg ausverkauft, das hat viel kompensiert.“ In Wirklichkeit hätten sie ziemlich zu kämpfen, das belege die Lage bei den Dauerkarten.

„Unsere Zuschauerstruktur ist zwei Jahrzehnte sehr kontinuierlich gewachsen“, berichtet Hofele. Nachlangen Phasen des Wachstums habe man irgendwann die Dauerkartenbegrenzt, weil man keine geschlossene Gesellschaft haben wollte; die 20Dauerkarten, die abgegeben wurden, seien ersetzt worden, und stets gab es weitere 40 Fans auf einer Warteliste. Mit dem neuen TV-Vertrag aber gab es eine Zäsur. „Da haben wir auf einen Schlag rund 500 Dauerkartenweniger verkauft, das macht in Summe ungefähr200.000 Euro, das ist genau der Effekt, den ich befürchtet hatte und der zu erwarten war.“

Hofele sieht nicht nur den Sonntagmittag sehr kritisch, sondern auch die Anwurfzeit am Donnerstag. „Das ist an sich kein schlechter Tag, aber die Anwurfzeit ist aus meiner Sicht zu früh“, sagt er. „Viele Menschenmüssen an diesem Tag länger arbeiten, und wenn man um 18 Uhr das Geschäft schließt oder die letzten Einkäufe tätigt, dann ist die Zeit bis zum Anpfiff zu kurz.“ Wenn man selbst gegen ein Team wie die SG Flensburg-Handewitt an einem Donnerstagabend nur knapp 4.000 Fans in die Halle bekomme („Das war das schlimmste Heimspiel!“), dann müsse man sich Gedanken machen. „Wir spüren die Effekte enorm. Der Unmut der Fans ist groß. Und wir haben auch Logen verloren“, sagt Hofele.„Meine Hoffnung ist, dass wir über die Anwurfzeit am Donnerstag mit Sky reden können.

“Auch der Göppinger Clubmanagerweiß freilich, welche Vorteile der neue Vertrag mit sich bringt, etwa die Reichweitensteigerung, die mit dem zweiten Partner ARD (und ZDF) möglich ist. Und weil jedes Bundesligaspielproduziert wird, lässt sich auch die Auslandsvermarktung der HBL gut an, die seit dem Sommer von HBL Geschäftsführer Bohmann organisiert wird. Zwar seien die Erlöse noch nichtgestiegen, weil mit der katarischen Agentur beIN Sports für die laufende Saison ein starker Partner wegfiel, der den gesamten nordafrikanischen und arabischen Raum mit HBL-Spielen versorgt hatte. „Aber mit beIN Sports sind wir wieder in guten Gesprächen“, sagt Bohmann.

Insgesamt mache sich die hohe Qualität der Bilder und der Clips, die für die Märkte von jedem Spieltagmaßgerecht gefertigt würden, positivbemerkbar. „Da sind wir auf einemguten Weg“, sagt Bohmann. Auch glaubt der HBL-Commissioner, die kleine Delle in den Zuschauerzahlen mittelfristig wieder zu kompensieren. „Es ist einfachwichtig, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Zuschauer hinzu zu gewinnen“, so Bohmann. Auch nimmt er an, dass die vielen Terminkollisionen in dieser Spielzeit demnächst Geschichtesind. „Es gab in dieser ersten Saison einige Ausnahmen, weil viele Dinge so kurzfristig auch nicht zu terminieren waren“, sagt er. „Aber in der nächsten Saison sieht das schonanders aus. Dadurch, dass wir jetzt Planungssicherheit hinsichtlich der Termine haben, werden sich die Probleme bei der Terminierung reduzieren. Und ich gehe davon aus, dass sich das auch bei den Zuschauerzahlen positivbemerkbar macht.

“Die Hoffnung Hofeles, womöglich am Donnerstagabend etwas Spielraum zu erhalten, musste Bohmann beim Meeting in Hamburg also enttäuschen: „An der bestehenden Struktur der Anwurfzeiten wird im nächsten Jahr vehement festgehalten.“

Dieser Artikel stammt aus der HANDBALL inside Ausgabe #19 1/2018. Autor: Erik Eggers

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Quelle: HANBALL inside

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